Tocotronic – Wie wir leben wollen

Es gab mal eine Zeit, in der ich die Veröffentlichung eines neuen Albums der damals noch drei Hamburger kaum erwarten konnte. Wie das Wiedersehen mit einem guten Freund, den man ewig nicht getroffen hat, von dem man aber weiss, dass schon nach Sekunden alles wie immer ist. Man lacht immer noch über die gleichen Witze, hat die gleichen Probleme und trinkt immer noch im gleichen Rhythmus das kalte Bier. Seit ein paar Jahren haben Tocotronic und ich uns aber voneinander entfernt, in unterschiedliche Richtungen entwickelt. Vielleicht aber habe ich auch immer noch den Tocotronic-Sound von vor 20 (!) Jahren im Ohr und will nicht wahrhaben, dass diese Band nun einen Weg eingeschlagen hat, den ich (noch) nicht mitgehen kann. Der große Reiz an Tocotronic war damals, dass sie ein Lebensgefühl auf den Punkt vertonten. Songtitel, wie Slogans, wütende, kompakte Songs, die zu Ende waren, wenn alles gesagt war. Also meist nach maximal 3 Minuten. Das war einfach, das war bequem. Heute sind Tocotronic musikalisch zwar weicher, rezeptirisch (?) aber deutlich kantiger geworden. Es bedeutet zunächst einmal Arbeit sich ihren Songs zu nähern. Alle Metaphern zu entschlüsseln, die Texte in Gänze zu begreifen. Ein gute Freundschaft übersteht das, eine gute Freundschaft bedeutet immer mal Aufwand und Anstrengung. Noch kann ich diesen Weg nicht mitgehen, aber wer weiss: Vielleicht treffen wir uns schon bald wieder und statt Bier im Pub gibt es dann Rotwein am Kamin?!

Tocotronic