Musik

Tocotronic – Wie wir leben wollen

Tocotronic – Wie wir leben wollen

Es gab mal eine Zeit, in der ich die Veröffentlichung eines neuen Albums der damals noch drei Hamburger kaum erwarten konnte. Wie das Wiedersehen mit einem guten Freund, den man ewig nicht getroffen hat, von dem man aber weiss, dass schon nach Sekunden alles wie immer ist. Man lacht immer noch über die gleichen Witze, hat die gleichen Probleme und trinkt immer noch im gleichen Rhythmus das kalte Bier. Seit ein paar Jahren haben Tocotronic und ich uns aber voneinander entfernt, in unterschiedliche Richtungen entwickelt. Vielleicht aber habe ich auch immer noch den Tocotronic-Sound von vor 20 (!) Jahren im Ohr und will nicht wahrhaben, dass diese Band nun einen Weg eingeschlagen hat, den ich (noch) nicht mitgehen kann. Der große Reiz an Tocotronic war damals, dass sie ein Lebensgefühl auf den Punkt vertonten. Songtitel, wie Slogans, wütende, kompakte Songs, die zu Ende waren, wenn alles gesagt war. Also meist nach maximal 3 Minuten. Das war einfach, das war bequem. Heute sind Tocotronic musikalisch zwar weicher, rezeptirisch (?) aber deutlich kantiger geworden. Es bedeutet zunächst einmal Arbeit sich ihren Songs zu nähern. Alle Metaphern zu entschlüsseln, die Texte in Gänze zu begreifen. Ein gute Freundschaft übersteht das, eine gute Freundschaft bedeutet immer mal Aufwand und Anstrengung. Noch kann ich diesen Weg nicht mitgehen, aber wer weiss: Vielleicht treffen wir uns schon bald wieder und statt Bier im Pub gibt es dann Rotwein am Kamin?!

Tocotronic

John Grant – Pale Green Ghosts

Das zweite Solo Album des Ex-Czars Sängers kommt mit einer gradezu brutalen und  treibenden Melancholie daher, stumpfe Sequenzerbeats und süsse Melodien unterlegen bitterböse Texte.
Der fast selbstzerstörte und wieder aufgestandene Grant erzählt Geschichten aus seinem Leben und ist dabei mit der Wortwahl nicht immer zimperlich. Zuhören lohnt sehr.
Mag sein, dass hier eins der besten Alben des Jahren vorliegt. -zen

john-grant-pgg

Atom TM – HD

Uwe Schmidt ist der bessere Kraftwerk. Zumindest mit diesem Album. Und mit Augenzwinkern. Das Ding pumpt und grooved wie sau und spätestens bei “Stop (Imperialist Pop)” oder “My Generation” (ja genau, die alte Nummer) sollte jeder kapiert haben: Hier macht Senor Coconut einen auf Popmusik. Gastsänger Jamie Lidell sorgt für die nötige Seele. Alles wird gut. Kaufen! -zen

atom_tm

Soundcloud

Soundcloud

OK, ich gebe es zu. Über Monate hat sich mir der Sinn von Soundcloud nicht wirklich erschlossen. Ein “Youtube” für Klänge sollte es sein. Aber meine Motivation mir kurze Tonschnipsel privater Möchtegern-Produzenten oder Interviews bekannter Künstler zu ihren jeweiligen neuen Platten anzuhören hielt sich in sehr engen Grenzen. Nun ergab sich kürzlich aber folgende Situation: Ein Freund machte mich auf einen fluffigen Song, bzw. einen Remix dessen, aufmerksam und schickte mir einen Youtube-Link. Den Song für gut befunden, wollte ich diesen bei iTunes ordern, gab es aber nicht in der fluffigen Bearbeitung. Also erinnerte ich mich an Soundcloud und siehe da – Song da, Remix da und auch noch kostenloser Download – LEGAL wohlgemerkt! Nun hatten meine Augen bei Youtube aber ein paar weitere Empfehlungen erspäht, die ich nun nach und nach bei Soundcloud abarbeiten konnte. Am Ende des Tages hatte ich knapp 2 Stunden kostenloser Musik auf meinem Rechner, die schon jetzt zu meiner favorisierten Playlist des noch kommenden Sommers gehören. Was war also geschehen? In Zusammenwirken mit Youtube habe ich durch Soundcloud eine alte Leidenschaft wiederentdeckt, die irgendwann Ende der 90er-Jahre verloren gegangen ist: Das Jagen und Sammeln von raren und besonderen Remixen. Die Masse und Vielfalt an Songs auf Soundcloud erschlägt einen mittlerweile und es fehlt eine intuitive Empfehlungsfunktion (die vorhandene Abo-Funktion lässt einen immer nur in der angestammten Suppe fischen, Neues entdeckt man dadurch nicht). Aber bezieht man Youtube und desssen wunderbare Empfehlungsmöglichkeiten in seine Entdeckungsreise mit ein, sind einem nächtelange Sessions sicher. Und das kann auf dem heimischen Sofa sogar viel angenehmer sein, als seinerzeit im miefigen Plattenladen mit unfreundlicher Bedienung.

 

soundcloud

Norah Jones – Little Broken Hearts

Norah Jones – Little Broken Hearts

Gab es Anfang der Nuller-Jahre eine Künstlerin auf die sich Ally MacBeal-Fans und Jazz-Café-Besucherinnen einigen konnten, war das zweifelsohne Norah Jones. Ihre ersten beiden CDs gehörten in jedes gutsortierte IKEA-Regal und standen meist zwischen den Schlank im Schlaf-Ratgebern und der Sex & the City-DVD. Leider war Norah Jones nach ihrem ersten Album genauso langweilig, wie sich das hier liest. Und als nun Danger “Mighty” Mouse ankündigte das neue Album zu produzieren, war ich skeptisch. Und doch: Sein Plan, Frau Jones zu skelletieren und roher zu produzieren, geht auf. Kann man sich durchaus anhören, ohne sofort an Räucherkerzen und schummrige Mädelsabende mit Prosecco oder Früchtetee denken zu müssen. Und die alte Stammkundschaft wird vielleicht nicht einmal verstört und sortiert die neue CD dann eben neben “Shades of Grey” ein.

norahjones

Diverse – So80s (Blank & Jones)

Diverse – So80s (Blank & Jones)

Leider reduziert sich die öffentlich Wahrnehmung von Musik aus den 80ern meist auf einige wenige Titel der sogenannten Neuen Deutschen Welle und Michael Jacksons Thriller. Blank & Jones leisten also wertvolle Arbeit, wenn sie in ihrer Reihe “so80s” zum Teil vergessene Schätze aus den Archiven hervorkramen. Und wie es in den 80ern üblich war: Natürlich immer als Extended Version. Jede Folge (derzeit 7) besteht aus 3 CDs. Ein Mix und 2 CDs mit den kompletten Versionen der im Mix enthaltenen Songs. So faszinierend das Wiederhören von aus dem Gedächtnis verdrängten Perlen auch ist: Es ist schlicht unmöglich alle Folgen durchzuhören, ohne genervt die Hörer vom Kopf zu reißen und nach Stille zu gieren, so überfrachtet und dicht sind teilweise die vorgestellten Versionen. Tolle Idee, tolle Umsetzung, aber wirklich nur wohl dosiert konsumierbar.

so80s

THE XX – COEXIST

THE XX – COEXIST

Mal ehrlich: Kam man in den letzten 2 Jahren  an irgendeiner “Dokumentation” oder einem “Ratgeber” bei den üblichen Verdächtigen VOX, SAT1, RTL und RTL2 vorbei, in denen nicht INTRO  von THE XX verwendet wird? Die Verwendung von THE XX in diesem Kontext zeigt einem aber erstmal, wie erfolgreich das Debüt der Band war. Mit dem ersten Versuch angekommen im Mainstream. Da aber auch bei mir das Debüt 2 Jahre lang in Dauerrotation lief, war die Vorfreude auf den (und die Angst vor dem) Nachfolger groß. Leider war die Angst berechtigt. Ich habe mir viel, sehr viel Zeit genommen, das neue Album sacken zu lassen und habe ihm wieder und immer wieder eine Chance gegeben. Natürlich handelt es sich immer noch um eines der besseren Veröffentlichungen des Jahres 2012, aber leider setzte sich bei mir schon beim ersten Hören im September die Erkenntnis fest, dass es sich beim Nachfolger auch gut um ein B-Seiten-Album des Debüts handeln könnte. Und leider wird sich niemand für ein drittes Album interessieren, wenn THE XX es nicht schaffen sollten, ihren Stil ein wenig zu variieren und auch mal andere Sounds und Einflüsse zuzulassen.

Kid Kopphausen – I

Kid Kopphausen – I

Kurz nach der Veröffentlichung habe ich mir das länger erwartete Album von Nils Koppruch und Gisbert zu Knyphausen gekauft. Irgendwann im Sommer oder Spätsommer. Die beiden zusammen auf einem Album: Kann man nichts verkehrt machen, dachte ich. Zweimal gehört, nix hängen geblieben. Belanglos. Dann kam der Oktober und irgendwann Mitte des Monats ereilte mich die Nachricht vom Tod Nils Koppruchs. Und plötzlich war das Album ein anderes. Ich habe mich am Tag, nach dem ich vom Tode Nils´erfahren habe, den ganzen Tag nichts anderes gehört, ich habe jeden Song nach einer latenten Todessehnsucht abgesucht (und nichts gefunden, was mich noch trauriger gemacht hat, denn damit war für mich klar: Du kannst auch mit einer 4 vor dem Komma sterben, natürlich). Lange Rede, kurzer Sinn: Das Album ist für mich DAS deutschsprachige Album des Jahres. Ja, ich gebe zu, dass dies erst durch die tragischen Umstände ans Licht kam. Und man kann das auch für Gefühlsduselei halten. Geschenkt. Trotzdem läuft das Album bei mir auf Dauerrotation. Seit Oktober. Seitdem Nils Koppruch plötzlich verstorben ist. Warum? Weil dieses Album vor Lebenslust platzt.

 

 

 

Fraktus – Millenium Edition

Fraktus – Millenium Edition

Studio Braun … das war schon mal lustiger. Fraktus als große “Pre-Techno”-Verarsche aufbauen, wichtige Namen mit ins Boot holen, “viral” streuen und die Feuilletons fahren drauf ab. Ganz toll, sowas wurde auch noch nie gemacht.
Könnte eigentlich auch wirklich schön sein, nur leider klingt das ganze Ding nicht ein Stück nach dem was es sein soll und ist zudem völlig unkomisch. Statt den Fake konsequent durchzuziehen, hat man sich dann doch auch lieber auf den Namen Studio Braun verlassen um das Ding zu verkaufen. Hätte es Fraktus wirklich gegeben, keine Sau würde sich dafür heute noch interessieren. Da gab es zu der Zeit in der Tat einfach viel besseres. -zen (heute humorlos)

Channel X – Wonderland

Channel X – Wonderland

Nach der kleinen Enttäuschung namens Oliver Koletzki (siehe weiter unten), gelingt dem Berliner Label STIL VOR TALENT nun eine deutlich gelungenere Veröffentlichung. Zwar findet man auch auf WONDERLAND Tracks, die das große Manko von House – nämlich den Hang zur Uniformität und Beliebigkeit – mit sich herumschleppen müssen. Dafür ballert und bollert es an anderer Stelle ganz hervorragend an der Bassmembran und sorgt für ein großes AHA beim geneigten Hörer. Somit haben CHANEL X mit WONDERLAND die Beschallung für den frühen Samstagabend in ca. 50% aller Berliner Bars und Lounges für die nächsten Monate sichergestellt. Ganz bestimmt eines der besseren House-Alben in diesem Jahr.